Die Tarnfolie sitzt perfekt. Bullaugen am hinteren Seitenfenster verunstalten das SUV-ähnliche Gefährt zusätzlich. Niemand soll auch nur erahnen, was sich darunter verbergen könnte. Das Verwirrspiel komplettiert ein großer Drahtgittergrill an der Front. Wer würde da an ein Elektroauto denken?
Genau in diesem sitzt Michael Kelz, Baureihenleiter und Chefentwickler des EQC, dem ersten batterieelektrischen SUV der Kernmarke Mercedes. Das intern N 293 genannte Modell – N steht für New Mobility – soll im zweiten Quartal 2019 auf den Markt kommen. Wenn alles glatt läuft.
Dass die Stuttgarter dann nicht die ersten sind, sieht Ingenieur Kelz gelassen. Für ihn ist die Elektromobilität keine Sprint-Disziplin, sondern ein Marathon-Lauf. „Wir müssen nicht auf Teufel komm raus vorpreschen“. Jaguar liefert in wenigen Wochen seinen I-Pace an erste Kunden aus. Audi wird am 30. August seinen e-tron präsentieren, exakt fünf Tage, bevor Mercedes seinen EQC enthüllt. Absicht oder Zufall? Alle drei zumindest wählten als Karosserieform ein SUV, zum einen technisch bedingt, weil die Bodengruppe ein höheres Batteriepaket aufnehmen kann, zum anderen, weil diese Fahrzeuggattung weltweit die besten Absatzchancen erwasrten lässt.
Das Konzept
Trotz der Tarnfolie ist unschwer zu erkennen, dass der EQC kein „umgebauter“ GLC ist. Designchef Gorden Wagener verpasste dem Elektro-SUV eine komplett eigenständige Karosserie. Übernommen wurde lediglich der Radstand (2,87 Meter), aus Gründen der Montage am Band. Der EQC ist zehn Zentimeter länger (4,76 Meter) und vier flacher (1,60 Meter) als der GLC. Innen herrschen nahezu gleiche Abmessungen. Auch hinten sitzen Erwachsene recht bequem. Laderaumwerte nennt Michael Kelz noch nicht, nur so viel: „Sie entsprechen in etwa jenen des GLC“, heißt 550 Liter netto, umgeklappt rund 1.600 Liter. Die Lehnen lassen sich im Verhältnis 40:20:40 elektrisch vom Kofferraum flachlegen.
Die Batterie
Ziel der Entwicklung war, keinen Elektrosportwagen mit absurden Fahrleistungen auf die Räder zu stellen, sondern ein voll alltagstaugliches Familienauto mit fünf Sitzplätzen. Und weil sich „alltagstauglich“ bei einem BEV (Battery Electric Vehicle) in erster Linie auf die Reichweite bezieht, packten Kelz und sein Entwicklerteam 70 kWh Batteriekapazität ins Bodenblech. Sie soll nach WLTP-Zyklus mehr als 400 Kilometer Range ermöglichen. Dies allerdings wäre ein ambitionierter Wert und setzt einen Verbrauch von deutlich unter 20 kWh/100 km voraus. Jaguar gibt für seinen leistungsmäßig ähnlichen und auch etwa gleichschweren I-Pace einen Wert von 21,2 kWh/100 an.
Das Laden
Selbst wenn es zur Markteinführung im Frühjahr 2019 etwas weniger als 400 Kilometer sein sollten, es macht den Mercedes in jedem Fall zu einem Erstauto im Haushalt, verlangt allerdings nach einem disziplinierten Strom-Management. Wer beispielsweise spät abends mit leerer Batterie nach Hause kommt und am nächsten Morgen auf längere Tour muss, im Keller aber nur die normale 16-A-Schuko-Steckdose als Energiequelle hat, kann seinen Plan vergessen. Mehr als 25 kWh gehen in acht Stunden Ladezeit dann nicht hinein, was gerade einmal für rund 120 Kilometer Fahrstrecke reicht. Maximal lässt sich der EQC an einer Gleichstrom-Schnellladesäule mit 115 kW befüllen. Der Audi e-tron hat hier mit 150 kW Ladeleistung derzeit die Nase vorn, ein Tesla kommt auf 120 kW.
Der Antrieb
Der EQC verfügt vorne und hinten über einen jeweils 150 kW starken E-Motor. Beide werden unabhängig voneinander geregelt. Als Kelz den Wagen über die kurvigen Landstraßen in Südspanien scheucht, ist deutlich zu spüren, wie feinfühlig sich die Antriebsmomente (zusammen etwa 700 Newtonmeter) regeln lassen. Selbst nahe des Grenzbereichs kommt das ESP nicht zum Einsatz. „Elektronik ist um ein Vielfaches schneller als die Hydraulik der Bremsen“, verrät Kelz. Dass der EQC mit zwei Personen über 2,5 Tonnen auf die Waage bringt – die Batterie macht davon rund ein Viertel aus – ist kaum zu glauben. Die Handlichkeit verblüfft.
In Sachen Komfort soll der EQC laut Kelz „das Niveau einer E-Klasse erhalten“, und dies mit einem konventionellen Stahlfeder-Fahrwerk. Eine Luftfederung, wie sie Audi für den e-tron serienmäßig ab Werk und Jaguar für die I-Pace optional anbietet, wird für den EQC nicht zu haben sein. Die Hinterachse bekommt lediglich eine Niveauregulierung, um bei voller Beladung die Bodenfreiheit zur Batterie konstant zu halten.
Recht aufwändiges gestaltet sich beim EQC das Thermo-Management des Energiespeichers. Der Akku muss stets in seinem optimalen Temperaturfenster von 20 bis 25 Grad Celsius gehalten werden. Über den Batteriemodulen liegt daher eine große, flüssigkeitsgekühlte Thermoplatte. Ein weiterer Kühlkreislauf ist für die beiden Elektromotoren zuständig.
Der Innenraum
Unter die schwarzen Tücher, die komplett das Armaturenbrett bedecken, lässt uns Entwicklungschef Kelz nur kurz blicken. Zu sehen ist ein „Wide Screen“ in der Größe, wie ihn kürzlich die neue A-Klasse erhielt. Klar, dass damit auch das Bedienkonzept MBUX übernommen wird. Ebenso logisch, dass es dem EQC nicht an Apps und Assistenzsystemen fehlen wird. Im Automatikmodus der Rekuperation – insgesamt sind vier Stufen über die Paddles am Lenkrad einstellbar – verzögert das Elektro-SUV bei Gaswegnahmen selbstständig nach bester Effizienz, abhängig vom Streckenprofil, der Navigation und der Verkehrszeichenerkennung. Auch ein „Segelmodus“ ist aktivierbar.
Die Produktion
Fertigen will Mercedes den EQC in Bremen. Er läuft hier zusammen mit dem GLC und der C-Klasse von einer Linie. „Wir gestalten die Produktion „atmungsaktiv“ und können so vom Planungsvolumen bis zu 25 Prozent nach unten oder oben abweichen“, sagt Kelz. China bekommt seinen eigenen, vor Ort produzierten EQC. Dort fährt das SUV allerdings mit chinesischen Pouch-Zellen, während für die europäische Variante (und Rest der Welt) die Batteriezellen aus Korea stammen. Auch die beiden Elektromotoren sind keine „Inhouse“-Produkte, sondern wurden von einem Zulieferer entwickelt.
Preislich dürfte sich Mercedes wohl am Jaguar I-Pace und am Audi e-tron orientieren, die beide bei knapp 80.000 Euro starten. Gut möglich aber, dass die Stuttgarter ihren EQC hier knapp darunter ansiedeln – bedingt durch die kleinere und damit wesentlich günstigere Batterie.
Technische Daten Mercedes EQC
Fünftüriges, fünfsitziges Mittelklasse-SUV
Länge 4,76 Meter
Breite 1,90 Meter
Höhe 1,60 Meter
Radstand 2,87 Meter
Kofferraum zirka 550 Liter, umgeklappt rund 1.600 Liter
2 Elektromotoren mit jeweils 150 kW
Batteriekapazität 70 kWh
Leergewicht 2,4 Tonnen
Beschleunigung 0-100 km/h in zirka 5,5 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 200 km/h
Reichweite über 400 Kilometer nach WLTP-Zyklus
Maximale Ladeleistung 115 kW Gleichstrom
Wechselstrom bis elf kW dreiphasig.
Reifen 235/50 R 20 vorne und 255/45 R 20 hinten
Preis: rund 80.000 Euro
Text: Michael Specht
Foto: Mercedes Benz